Erlanger Tagblatt zu dem Konzert am 25. März in Frauenaurach

 

Musikalische "Botticelliana"

Kammerorchester in Frauenaurach

Die Frühlingsbutter kennt das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm genauso wie den Frühlingsregen. Und während die Frühlingsbutter durch das erste, frische Grün auf den Weiden besonders gut gerät, wird der Frühlingsregen mitunter zum Dauerregen.

Derart plastisch verwies das Text-, Musik- und Bildverknüpfende Programm "Botticelliana" des Erlanger Kammerorchesters auf die ursprünglich sinnliche Faßbarkeit der Jahreszeiten, dass das Zuhören in der voll besetzten Frauenauracher Klosterkirche zum seltenen Vergnügen wurde. Denn anhand von Texten von Vergil bis Ingeborg Bachmann, Bildprojektionen von Botticelli bis Cabanel und Werken von Respighi, Grieg und Debussy konnte man die dramatische Naturentfremdung seit der Renaissance nachvollziehen.

So blüht im allegorischen Frühlingsporträt des manieristischen Renaissancemalers Giuseppe Archimboldi noch das ganze (aus Blüten zusammengesetzte) Jahreszeit-Gesicht. Und Edvard Griegs (1843-1907) "Letzter Frühling" vertont andächtige Naturerfahrung - mit einem sehnsüchtig zur Entfaltung drängenden und weithin bindenden Klarinetten-Solo (bei dem Carlos Fritzsche mit weich gerundetem Timbre und bester Kondition für den dynamischen Steilhang beeindruckte.

Cabanels liegender Venus-Akt von 1863 wirkt in seiner gezähmten, nur noch durch Leibesfülle, nicht mehr durch die Körperhaltung formulierten Lebendigkeit dagegen schon dressiert. Auf die Spitze treibt die jetzt depressive und mundtote, entkörperlichte Zeiterfahrung bei Ingeborg Bachmann: "Nichts wird mehr kommen / du sollst ja nicht weinen sagt eine Musik / sonst sagt niemand etwas." Die Texte las Gerhard Palder vom Schillertheater Wuppertal.

Die berühmte (und tausendfach verkitschte) Botticelli-Venus (1482), die in ihrer Muschel ans Meerufer treibt, strandet so im Nachkriegsdeutschland in existenzialistischer Haltlosigkeit. Zu diesem bitteren Kontrapunkt hatte das unter Leitung von Ulrich Kobilke schwungvoll gestaltende Orchester allerdings noch ein lyrisch üppiges Gegenargument zu setzen: "Printemps", die zweisätzige Orchester-Suite von Debussy, entstanden 1887, schwelgt in chromatischen Färbungen und rhythmischen Klimaveränderungen, die in strahlenden Beckenschlägen gipfeln.

Dieses beeindruckende Finale wischte auch kleinere Unebenheiten bei den Streichern (wobei solistische Einsätze stets ausdrucksvoll gelangen!) endgültig hinweg. An ihnen hatte vor allem das klassizistische ausgefeilte "Trittico botticelliano" mit den drei Sätzen Frühling, Anbetung der Könige und Geburt der Venus von Respighi (1879-1936) noch ein wenig gelitten. Etwas mehr Flächigkeit hätte den Violinen hier nicht schaden können.

Ansonsten schaffte dieses Frühlingsprogramm des Erlanger Kammerorchesters, was üblichen Abonnent-Zusammenstellungen meistens verwehrt ist: Die Arbeit mit dem kunstgeschichtlichen Skalpell und beste Hörlaune nahtlos zusammenzubringen! Denn den Grimm'schen Dauerregen kennen wir noch immer. Nur der Geschmack der Frühlingsbutter dürfte inzwischen BSE-bedingt im künstlichen Stalllicht Dolly's zartes Geheimnis geworden sein.

ANJA BARCKHAUSEN

eko.xml: So, 24. Aug 2003